«Viele glauben, ‹Peak Oil› könne uns jetzt egal sein. Doch das stimmt nicht»

Donnerstag, 3. März 2016Lesezeit: 3 Minuten

Ein Gespräch mit Dr. phil. Daniele Ganser, Schweizer Historiker und Energie- und Friedensforscher über «Peak Oil», die Rolle des Mittleren Ostens und Russland sowie die geopolitischen Implikationen des tiefen Ölpreises.

derinews: Rohöl, ein geopolitisches Machtwerkzeug? Was findet da gerade statt?

Derzeit beobachten wir einen brutalen Preiskampf beim Erdöl. Die Saudis, die günstig produzieren können, fluten als Discounter die Märkte und holen sich dadurch Marktanteile zurück. Sie drängen die US-Schiefergasproduzenten, die höhere Kosten haben, in den Ruin. Nicht einmal innerhalb der OPEC ist diese Strategie der Saudis beliebt. Venezuela hätte gerne höhere Erdölpreise.

 

derinews: Welche Rolle spielen der Mittlere Osten und Russland?

In Syrien und Irak herrschen derzeit fürchterliche Kriege, ausgelöst durch den illegalen Angriffskrieg der Briten und Amerikaner 2003. Der Geheimdienst und das Militär des gestürzten Diktators Saddam Hussein, vorwiegend Sunniten, bilden heute den Kern des Islamischen Staates (IS), der Syrien und Irak terrorisiert. In Syrien wollen die Russen und Iraner Assad an der Macht halten. Die USA, die Briten, Türken und Saudis wollen ihn stürzen. Es ist erneut ein Kampf um Geld, Macht, Erdöl, Erdgas und Pipelines. Seit 1908 erstmals Erdöl im Mittleren Osten gefunden wurde, hat das schwarze Gold wie ein Fluch gewirkt und viele Leben ausgelöscht. Einige Menschen wurden sehr reich, keine Frage, aber Sicherheit oder Stabilität gibt es in der Region seit Jahrzehnten nicht.

 

«Viele glauben, ‹Peak Oil› könne uns jetzt egal sein. Doch das stimmt nicht»

derinews: Was sind die geopolitischen Implikationen des tiefen Ölpreises?

Die teure Erdölförderung kommt unter Druck. Dazu zählen Tiefseeöl im Golf von Mexiko oder vor der Küste von Brasilien, Teersand in Kanada, Polaröl in der Arktis oder Fracking in den USA. Zudem investieren Erdölkonzerne weniger. Dadurch wird dereinst – wann genau, weiss niemand – das Angebot wieder knapper und der Preis wird wieder steigen.

 

derinews: Was sind die ökonomischen Auswirkungen eines langfristig tiefen Ölpreises?

Die Konsumenten in der Schweiz, in Deutschland und Österreich müssen weniger für ihr Benzin, Diesel oder Heizöl bezahlen. Sie denken daher auch weniger darüber nach, wie sie sich von ihrer Erdölsucht befreien könnten.

 

derinews: Welche Zukunft hat nun das bislang lukrative Schiefergas?

Fracking in den USA ist unter Druck, weil die Kosten im Vergleich zur saudischen Förderung hoch sind. Wegen den global tiefen Zinsen profitiert Fracking noch von geringen Kapitalkosten. Doch sollten auch diese ansteigen, werden viele Bohrfelder stillgelegt.

 

derinews: Beherrschendes Thema war lange das «Peak Oil». Anstelle der Angebotsverknappung erleben wir jetzt eine Schwemme.

Viele glauben, «Peak Oil» könne uns jetzt egal sein. Doch das stimmt nicht. Die IEA sagt seit Jahren, dass beim konventionellen, also billigen Erdöl das Fördermaximum Peak Oil erreicht ist. Erdöl ist endlich. Diese Tatsache wird gerne verdrängt. In Grossbritannien fällt die Förderung. Aber global hat der starke Preisanstieg bis auf Spitzen von 140 Dollar pro Fass im 2008 dazu geführt, das viel unkonventionelles Erdöl und auch Erdgaskondensate auf den Markt kamen. Das Überangebot drückte den Preis. Zudem gibt es mitunter ein Durcheinander, was man überhaupt misst, wenn man von «Erdöl» spricht. Eigentlich dürfte man nur Rohöl (Crude Oil) dazuzählen. Aber einige Statistiken nehmen auch Biotreibstoffe aus Mais dazu. Andere addieren aus gasförmigen Anteilen der Erdölförderung kondensierte Kohlenwasserstoffe (Lease Condensates) sowie die Natural Gas Liquids (NGL), also aus Erdgas gewonnene Gaskondensate. Das alles vernebelt die Sicht, der Peak beim konventionellen Rohöl wird plötzlich unsichtbar.

 

derinews: Unter welchen Voraussetzungen kann es zu einem neuen Höchststand des Ölpreises kommen?

Wenn zum Beispiel Saudi-Arabien durch eine politische Krise auseinanderfällt. Oder wenn die Weltwirtschaft plötzlich stark wächst und das Erdölangebot die Nachfrage nicht sofort decken kann.

 

derinews: Welchen Effekt hat das Preistief auf alternative Energien?

Einige werden ihre persönliche Energiewende aufschieben, weil die finanziellen Anreize zu schwach sind. Aber die erneuerbaren Energien aus Sonne, Wasser und Wind werden immer günstiger und daher immer attraktiver. Persönlich habe ich meine Erdgasheizung entfernt und durch eine Erdsondenwärmepumpe ersetzt. Den Strom dafür produziere ich mit einer Photovoltaikanlage auf meinem Hausdach. Weil ich zu viel Strom erzeuge, nutze ich den Überschuss und fahre ein Elektroauto, das ich in der eigenen Garage auflade. Im Kontext von Ressourcenkriegen, Klimawandel und Preisvolatilität sollte jeder die Alternativen zu den fossilen und atomaren Energieträgern genau prüfen, denn sie sind interessant. Es wird immer mehr «Prosumer» geben, also Menschen, die nicht nur Energie konsumieren, sondern auch produzieren.

 

derinews: Wo sehen Sie den Ölpreis in den nächsten ein bis drei Jahren?

Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren lag der Erdölpreis stabil spottbillig unter 3 Dollar pro Fass. Doch seit dem Jahr 2000 beobachten wir ungewöhnlich volatile Erdölpreise. Wir hatten 140 Dollar. Wir hatten 40 Dollar. Dann 100. Danach wieder 30. Es ist wie eine Achterbahnfahrt. Wo wir in drei Jahren sein werden, weiss heute niemand, auch ich nicht.

 

Dr. phil. Daniele Ganser
Schweizer Historiker, Energie- und Friedensforscher

Frieden, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik sind Dr. Gansers Forschungsschwerpunkte. Als Leiter des Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) untersucht der Energieexperte den globalen Kampf ums Erdöl sowie das Potenzial von erneuerbaren Energien. Sein Buch «Europa im Erdölrausch» ist beim Orell Füssli Verlag erschienen.

www.danieleganser.ch

21.09.2023 11:26:46

 

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