Interview mit Sabine Döbeli

Interview mit Sabine Döbeli

Mittwoch, 20. März 2019Lesezeit: 3 Minuten

«Unter Einbezug von ESG-Kriterien in den meisten Fällen zu einer mindestens gleich guten Performance»

Es wird viel darüber diskutiert, ob Investitionen, die ESG-Kriterien einbinden, eine Mehrrendite generieren können oder ob der Nachhaltigkeitsgedanke seinen Preis hat. Was glauben Sie?

Wissenschaftliche Studien zeigen klar, dass der Einbezug von ESG-Kriterien bei der Auswahl von Investments in den allermeisten Fällen zu einer mindestens gleich guten Performance führt, dies oft sogar bei tieferem Risiko. Es gab in letzter Zeit verschiedene Studien aus der Praxis, die sogar einen klar positiven Beitrag fanden. Die Performance nachhaltiger Anlagen ist aber, wie bei herkömmlichen Anlagen auch, stark abhängig von einem guten Prozess und einem qualifizierten Anlageteam.

Wo sollte Ihrer Meinung nach die ESG-Philosophie bei strukturierten Produkten ansetzen (Frage geht in Richtung Emittent, Bond, Option, Basiswert)

Eine Nachhaltigkeitsprüfung setzt letztlich immer beim Emittenten an. Dabei wird geprüft, wie nachhaltig eine Firma oder auch ein Staat insgesamt aufgestellt ist. Auf dieser Basis können Anlageentscheide für verschiedene Instrumente wie Aktien oder Bonds getroffen werden. Wenn ein Unternehmen verschiedene Bonds mit unterschiedlichen Laufzeiten und in verschiedenen Währungen ausstehend hat, so ist deren Nachhaltigkeit immer die gleiche, bezieht sich das Nachhaltigkeitsrating doch auf den entsprechenden Emittenten. Eine Ausnahme sind Green Bonds, bei denen die am Kapitalmarkt beschafften Mittel für ganz bestimmte grüne Projekte oder Aktivitäten eingesetzt werden.

Wie erfolgt die Bewertung/Auswahl von nachhaltigen Investments?

Es gibt nicht ein standardisiertes Auswahlverfahren, sondern verschiedene Ansätze, die auf verschiedene Kundenbedürfnisse abgestimmt sind. Viele Produkte kombinieren die Anwendung von Ausschlusskriterien mit der Auswahl von Firmen, die im Branchenvergleich besonders nachhaltig wirtschaften. Für andere Produkte erfolgt die Auswahl nach Themen. So werden z. B. Unternehmen identifiziert, die besonders energieeffiziente Technologien anbieten, oder Produkte, die zu einem sparsamen Wasserverbrauch beitragen.

Ist nachhaltiges Investieren auch wirklich nachhaltig? Welche Vor- bzw. Nachteile sind damit verbunden?

Was heisst schon «wirklich nachhaltig»? Diese Frage wird nicht jeder gleich beantworten und ist abhängig von den persönlichen Präferenzen. Wichtig scheint mir, dass klar kommuniziert wird, auf welchem Ansatz ein nachhaltiges Anlageprodukt basiert und was dessen Wirkung ist. Für einen Kunden mag es besonders nachhaltig sein, wenn das Portfolio aus Unternehmen mit grünen Produkten besteht. Ein anderer findet es vielleicht wichtig, dass er breit diversifiziert ist, dabei aber ein Dialog mit Unternehmen geführt wird, um deren Leistung gezielt zu verbessern.

Es gibt Industrien, die per se umweltfreundlicher sind als andere, beispielsweise, wenn man einen Technologie-Konzern mit einem Energieversorger vergleicht. Wie lässt sich der ESG-Gedanke relativieren?

Grundsätzlich muss die gesamte Wirtschaft nachhaltiger werden, wenn wir die anstehenden Herausforderungen meistern wollen. Dies gilt für den Technologiekonzern ebenso wie für den Energieversorger. Nachhaltigkeitsratings vergleichen daher die Performance innerhalb einer Branche und achten dabei auf die jeweils besonders relevanten Bereiche. Man kann als Anleger ebenso viel bewirken, wenn man in die innovativsten Firmen aus umweltbelastenden Branchen investiert, wie wenn man nur Unternehmen auswählt, die grüne Produkte anbieten. Es mag aber sinnvoll sein, verschiedene Ansätze zu kombinieren.

Nachhaltigkeit beschäftigt die Menschheit schon sehr lange. Warum kocht das Thema gerade jetzt so sehr auf?

Dass der Klimawandel in vollem Gang ist, wurde spätestens letzten Sommer jedem und jeder bewusst: grosse Trockenheit hier, Überschwemmungen und Stürme dort – die Zeichen waren deutlich. Gleichzeitig sehen wir mehr soziale Unruhen als auch schon, was ebenfalls ein Ausdruck zunehmender Ungleichheit ist. Es hat also viel mit der wachsenden Dringlichkeit dieser Themen zu tun. Eine wichtige Rolle spielen aber auch internationale Abkommen, die vermehrt in den einzelnen Ländern zu wirken beginnen. Dem Pariser Klimaabkommen kommt dabei eine wichtige Rolle zu, aber auch den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UNO.

Welche Folgen erwarten Sie, sollten die neuen ESG-Richtlinien in der EU in Kraft treten?

Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, im Thema den Überblick zu behalten – sogar für uns Spezialisten! Eine wichtige Informationsquelle ist sicher der Bankberater, der einen Überblick zum Angebot geben können sollte. Es gibt zudem einige Webseiten, auf denen man Informationen zu einzelnen Produkten (z. B. partnersforsustainability.ch, nachhaltig-investieren.org oder yoursri.com) oder auch zum Thema ganz allgemein (sustainablefinance.ch) findet.

Vita: Sabine Döbeli

Sabine Döbeli ist Geschäftsleiterin von Swiss Sustainable Finance, dem Verband zur Förderung nachhaltiger Finanzen in der Schweiz. Zuvor war sie bei Vontobel als Leiterin Nachhaltigkeit tätig und koordinierte das gruppenweite Nachhaltigkeitsmanagement sowie die Bereitstellung nachhaltiger Anlagen. Bei der Zürcher Kantonalbank baute sie ein internes Nachhaltigkeitsresearch-Team auf und wirkte bei der Lancierung verschiedener nachhaltiger Anlageprodukte mit.

04.06.2023 05:14:01

 

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