«Die grosse Domäne mit den stärksten Anstrengungen ist die Krebstherapie»

Donnerstag, 21. Juni 2018Lesezeit: 5 Minuten

Dr. Christian Lach
Senior Portfolio Manager, Healthcare Funds and Mandates, Bellevue Asset Management

Der Spezialist für Fondslösungen im Segment «Biotechnologie» blickt auf eine langjährige Tätigkeit in diesem Bereich zurück: Seit 2014 ist er bei Bellevue Asset Management als Senior Portfolio Manager (Healthcare Funds and Mandates) sowie «Buy-Side Research»-Analyst mit Fokus auf Onkologie tätig. Davor war der promovierte Wirtschafts wissenschaftler, der ausserdem einen Master in Biochemie der ETH Zürich absolviert hat, sechs Jahre lang als Senior Portfolio Manager und «Buy-Side Research»-Analyst Biotech/Medtech aktiv. Von 2001 bis 2008 war Dr. Lach Mitglied der Geschäftsleitung von BB Biotech/BB Medtech, Partner bei Bellevue Group und von 2005 bis 2008 Mitglied des Exekutiv-Komitees.

Bellevue Asset Management ist eine international tätige Investitionsfirma mit Sitz in Zürich. Die Gruppe zählt mit einem verwalteten Vermögen von 12 Milliarden Schweizer Franken zu den führenden Investment-Boutiquen. Der globale Gesundheitssektor ist eine der Kernexpertisen.


Weshalb gilt Gentherapie als Schlüsseltechnologie des Pharmasektors?

Die Gentherapie hat revolutionären Charakter. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin ist es nun möglich, Krankheiten ursächlich zu behandeln statt nur Symptome zu lindern. Zukünftig könnte die Gentherapie ausserdem das Potenzial aufweisen, Schwerstkranke mit Gendefekten vollständig zu heilen, denn vielen dieser Gendefekte liegen «falsche Bauanleitungen» für lebenswichtige Proteine zugrunde. Diese Proteine erfüllen häufig wichtige Stoffwechselaufgaben oder sind essenzielle Baustoffe des Körpers. Liegen Defekte vor, hat dies oftmals fatale Auswirkungen.

In welchen medizinischen Bereichen wird die Technologie bereits erfolgreich angewendet?

Bisher sind in den USA zwei Gentherapien (Kymriah und Yescarta) zur Behandlung von schweren, therapieresistenten Formen von Blutkrebs und Lymphdrüsenkrebs zugelassen. Bei diesen sogenannten CAR-T- Therapien entnimmt man dem Patienten weisse Blutkörperchen und verändert sie mithilfe der Gentherapie so, dass sie den Tumor wiedererkennen und bekämpfen können. Die Zellen werden daraufhin vermehrt und dem Patienten reinjiziert. Die so erzielten Erfolge stellen einen Quantensprung dar. Auch die dritte (in den USA zugelassene) Gentherapie Luxturna ist nicht minder beeindruckend. Sie wird zur Behandlung einer genetisch bedingten Form der Erblindung eingesetzt. Mit Luxturna werden die defekten Netzhautzellen direkt mithilfe von speziellen Viren behandelt.

Ein Blick in die Zukunft: Wo schlummern weitere Potenziale und was ist an Herausforderungen noch zu bewältigen?

Die grosse Hoffnung ist natürlich, dass Krebsfälle heilbar sein werden, die heute als unheilbar gelten. Aber auch schwere Infektionskrankheiten wie Aids oder Hepatitis B könnten heilbar werden. Daneben stehen viele neurologische Krankheiten wie Parkinson, aber auch seltene wie ALS im Mittelpunkt des Interesses. Auch hier besteht ein grosser unbefriedigter Bedarf nach neuen und zugleich besseren Lösungen. Die grosse Domäne mit den stärksten Anstrengungen ist die Krebstherapie. Aber auch die Behandlung von monogenetischen Erbkrankheiten ist sehr stark im Fokus. Die erste Gentherapie gegen Enzymmangel, Strimvelis, wurde 2016 in Europa zugelassen zur Behandlung von Adenosin-Desaminase-Defizienz, die eine starke Schwäche des Immunsystems (SCID) hervorruft. Falls sich diese Therapien gut etablieren, könnten Krankheiten wie Diabetes vom Typ 1 (juvenile Diabetes) oder auch Herzschwächen in die Reichweite von Gentherapien geraten. Ein wichtiges Augenmerk liegt derzeit ausserdem auf der Therapierung von Bluterkrankheiten. Generell besteht die momentan grösste Herausforderung weniger in der klinischen Wirksamkeit als vielmehr in der kostengünstigen Produktion dieser Therapien in ausreichender Qualität. Dies natürlich immer vor dem Hintergrund der Gewährleistung höchster Sicherheit aller Beteiligten.

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Thematisiert wird oft das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Wie skalierbar sind Gentherapien?

Schwerstkranke zu therapieren ist immer sehr teuer, da alle gängigen kosteneffizienten Therapien nicht mehr gewirkt haben. Ein Beispiel: Im Fall von schweren Bluterkrankheiten können die aus Blutplasma gewonnenen Gerinnungsfaktoren über 200’000 US-Dollar pro Jahr kosten. Gute Gentherapien könnten daher schnell bis zu einer Million US-Dollar pro Patient kosten. Da niemand weiss, wie gut und wie lange diese Therapien funktionieren, diskutiert man neue Bezahlungsmodelle wie Annuitäten. Das heisst, dass die Therapie pro Jahr bezahlt wird, jedoch nur so lange, wie sie tatsächlich wirkt. Erste Ansätze in diese Richtung existieren bereits.

Welche Bereiche des Gesundheitssektors dürften nun obsolet werden?

Im Moment lautet die Frage nicht, welche Therapie eine andere komplett ersetzen könnte, sondern vielmehr, welche Therapie neue Hoffnungen für Schwerstkranke bringt. Dabei sind die Therapien komplementär zu betrachten. In Zukunft könnte die Gentherapie durchaus ihren Marktanteil kontinuierlich vergrössern, wenn die Ergebnisse konsistenter werden, die Produktion sich deutlich verbilligt und die Sicherheitsfragen noch besser beantwortet werden. Sobald die Therapien wirklich kurativ wirken, werden sie alte, etablierte Ansätze unter Druck setzen. Die grosse Hoffnung besteht wie gesagt darin, Krebsfälle heilen zu können, die bisher als unheilbar galten. Oder auch Aids, Hepatitis B oder neurologische Krankheiten wie Parkinson. Hier besteht ebenfalls ein grosser unbefriedigter Bedarf nach neuen, besseren Lösungen.

Novartis hat Avexis für 8.7 Milliarden Dollar gekauft. Warum sollte sich der Deal lohnen?

Novartis stärkt seine Geschäftseinheit mit Gentherapie strategisch, denn nach der Zulassung von Kymriah, das mit Oxford BioMedica zusammen entwickelt wurde, fehlte für den Aufbau eines Portfolios mit starker Marktmacht die Breite und Tiefe. Die Übernahme positioniert Novartis auch im Bereich der neurologischen Erbkrankheiten, nachdem man im Bereich Krebs bereits ein Produkt auf dem Markt hat.

Welche Unternehmen oder auch Länder gehören derzeit zu den Vorreitern?

Im Bereich der klassischen Gentherapien sind nach wie vor europäische Unternehmen stark vertreten. So gelang Oxford BioMedica mit Novartis die erste Zulassung in den USA für Blutkrebs bei Kindern. Im Bereich der Bluterkrankheiten ist Shire gut positioniert. Allerdings scheinen hier die amerikanische Spark Therapeutics mit Pfizer bei Hämophilie B und BioMarin bei Hämophilie A führend zu sein. Im Bereich der Krebstherapien sind neben Novartis/Oxford BioMedica oder – nach den jüngsten Übernahmen – auch Celgene mit Juno und Bluebird gut positioniert. Ausserdem Gilead nach der Akquisition von Kite Pharma. Bei den sogenannten Gene-Editing-Ansätzen ist das Feld noch etwas ausgeglichener: CRISPR Therapeutics, Editas, Intellia und Cellectis sind hier in einem Wettstreit, wobei die drei erstgenannten noch stark mit Patentfragen beschäftigt sind.

Stichwort «Designer-Babys»: Wer verhindert, dass das gute Werkzeug in die falschen Hände gerät?

Diese Ängste sind verständlich, jedoch derzeit absolut unberechtigt. Der Grund: Viele unserer Eigenschaften wie beispielsweise die Intelligenz werden durch ein Zusammenspiel verschiedener Gene bestimmt. Man hat schlichtweg keine Ahnung davon, was überhaupt zu tun wäre, um solche Eigenschaften vorherzubestimmen oder zu verändern. Davon einmal abgesehen wären diese Therapien viel zu teuer und zu riskant, sodass sich dies niemand leisten würde oder könnte. Am wichtigsten ist jedoch zu sehen, dass in vielen Ländern die Veränderung von Keimzellen oder Embryonen verboten ist. Und je weiter die Technologien voranschreiten, desto stärker werden mögliche Anwendungen auch geregelt werden. Letztlich wird der gesellschaftlichethische Konsens entscheiden, was akzeptabel ist und was nicht. Neue Lösungen für Schwerstkranke bleiben ein Thema für die nächsten Jahre und geniessen breite Unterstützung – auch von der katholischen Kirche.

Zum Vontobel Gene Therapy Performance-Index, bei dem BAM als Indexsponsor fungiert. Was macht das Konzept so aussergewöhnlich?

Der Ansatz kombiniert qualitative Aspekte wie die Qualität des Managements mit quantitativen Bewertungskriterien wie dem Preis-Umsatz-Verhältnis. Insgesamt kommen vier qualitative und vier quantitative Kriterien zum Einsatz, bei denen jeweils zwischen ein und vier Punkte erzielt werden können. Zudem werden nicht nur profitable Unternehmen quantitativ bewertet, sondern auch solche, die noch kein Produkt auf den Markt gebracht haben, jedoch dafür starke klinische Daten vorweisen können. Das ganze Titeluniversum wird mit diesen Punkten bewertet. Die acht etablierten Unternehmen mit der höchsten Punktzahl sowie die am höchsten bewerteten innovativen Unternehmen werden gleichgewichtet in den Index aufgenommen. Zweimal jährlich wird das Portfolio komplett evaluiert und neu ausgerichtet. Ein ähnliches Konzept verwenden wir bereits seit vielen Jahren erfolgreich bei unserem Adamant Healthcare Index.

Zu guter Letzt zu Ihrer Expertise: Was hebt BAM von anderen Experten des Bereichs ab?

Wir sind eine klassische Investment-Boutique, die das Thema «Gesundheitsinvestments» sozu sagen in ihrer eigenen DNA trägt. Die Kontinuität unserer Aktivitäten in diesem Bereich hilft uns, einen guten Kontakt zu entsprechenden Unternehmen sowie zu unseren Geschäftspartnern aufzubauen und zu erhalten. Dank unserer Reputation profitieren wir aber auch von einem weltweit guten Zugang zu interessanten Firmen und sind allgemein ein geschätzter Diskussionspartner. Diese Gesamtsicht hilft uns bei der Einschätzung einzelner Unternehmen. Zudem sind wir unseres Wissens nach die Einzigen, die einen solchen Kombinationsansatz konsequent anwenden.

Gentherapie Themeninvestment
30.05.2023 20:16:22

 

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