«Brexit»: Grossbritannien verlässt die EU

«Brexit»: Grossbritannien verlässt die EU

Freitag, 24. Juni 2016Lesezeit: 3 Minuten

Geregelt wird ein solches Prozedere im Artikel 50 der sogenannten Lissaboner Verträge. Wie haben sich die Märkte bisher verhalten? Was sind die ökonomischen Konsequenzen? Eine aktuelle Einschätzung der Strategen des Vontobel Asset Managements am Tag nach dem «Brexit»-Entscheid (24.06.2016).

Gemäss den neusten Hochrechnungen in Grossbritannien (Stand: 7.20 Uhr) haben 52 Prozent der Bevölkerung für ein Verlassen der Europäischen Union (pro «Brexit») gestimmt und nur 48 Prozent für ein Verbleiben. Der britische Premierminister David Cameron dürfte die EU nun über den Austritt formell benachrichtigen. Geregelt wird ein solches Prozedere im Artikel 50 der sogenannten Lissaboner Verträge. Da damit internationales Recht verändert wird, muss das Parlament in London die Aktivierung des Artikels zuerst noch bestätigen.

 

Wie haben sich die Finanzmärkte bisher verhalten?

Als sich das Resultat abzuzeichnen begann, haben die Finanzmärkte auf mehr Risikoaversion («Risk-Off») geschaltet (siehe auch das Market update vom 20. Juni – «Das Brexit-Risiko belastet die Finanzmärkte»). Die asiatischen Aktienmärkte sind getaucht (Nikkei -8 Prozent, Hang Seng -6 Prozent) und die US-Aktien-Futures haben 5 Prozent verloren. Bei den Währungen ist das Pfund im freien Fall und hat gegenüber dem US-Dollar etwa 10 Prozent verloren. Demgegenüber gibt es für den japanischen Yen und den Schweizer Franken eine grosse Nachfrage, während der Euro gegenüber dem Dollar zur Schwäche neigt. Die als «sichere Häfen» geltenden Staatsanleihen und das Gold halten sich gut.

 

 

Was sind die ökonomischen Konsequenzen eines Brexit?

Am stärksten wird die Wirtschaft Grossbritanniens getroffen werden, da die durch den Brexit verursachte Unsicherheit die Investitionstätigkeit belasten wird. Wir erwarten einen Rückgang des Wirtschaftswachstums im Vereinigten Königreich von etwa 2.5 Prozent über die kommenden 24 Monate. Dies könnte in eine leichte Rezession münden. Der negative Effekt auf das Wirtschaftswachstum im kontinentalen Europa dürfte etwa 0.7 Prozentpunkte über die nächsten zwei Jahre betragen, während die Auswirkungen auf das globale Wachstum kaum deutlich spürbar sein dürften. Diese Prognosen basieren auf der Annahme, dass «alles andere» konstant bleibt und berücksichtigt nur leichte Ansteckungseffekte durch verschlechterte Finanzierungsbedingungen. Negative Rückkoppelungseffekte durch einen schwächeren Aktienmarkt und höhere Risikoaufschläge würden erst von Bedeutung werden, wenn keine Gegenmassnahmen erfolgten. Während den vergangenen Krisen, ausgelöst durch den Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers und das Platzen der «Subprime»-Immobilienblase – sowie der Euro-Krise war der sehr hohe Verschuldungsgrad und die daraus resultierende Anfälligkeit der Banken der Auslöser für die negative Ansteckung innerhalb der Finanzmärkte. In der heutigen Situation eines Brexit scheint uns aber die Verwundbarkeit der Aktien- und Anleihenmärkte durch diese Faktoren bei Weitem nicht mehr in einem Ausmass gegeben, der zu einer starken und langdauernden Korrektur führen würde. Darüber hinaus birgt der Brexit keine systemischen Risiken in Bezug auf die Eurozone, da Grossbritannien nie den Euro übernommen hat. Das Pfund wird sich auf ein Niveau abschwächen, das in Übereinstimmung mit dem Leistungsbilanzdefizit ist. Doch glauben wir, dass auch in einem Rezessionsszenario die Solvenz britischer Banken nicht gefährdet sein wird.

 

 

Wie werden die Zentralbanken reagieren?

Die Europäische Zentralbank wird höhere Kreditzinsen insbesondere in den sogenannten europäischen Peripheriestaaten ganz klar nicht tolerieren. Die japanischen und die Schweizer Währungshüter werden sehr wahrscheinlich einer übertriebenen Währungsaufwertung entgegenwirken. Die englische Nationalbank könnte den Leitzins senken und erneut ein Liquiditätsprogramm auflegen. Die US-Notenbank Fed ihrerseits würde bezüglich der geplanten Leitzinsanhebungen noch behutsamer vorgehen. Insgesamt wird dadurch die globale Liquiditätsversorgung deutlich ansteigen.

 

Was erwarten wir für die Märkte?

Nach einer turbulenten Periode rechnen wir damit, dass sich die Marktteilnehmer wieder auf das globale Wirtschaftswachstum, die Geldpolitik und die Aussichten für die Unternehmensgewinne fokussieren werden. Abgesehen von einem unvorhergesehenen Ereignis wie einer deutlichen Abschwächung der chinesischen Wirtschaft oder einem dramatischen Einbruch der Rohstoffpreise ist die Lage besser als die Marktstimmung suggeriert. Schliesslich kommt der Brexit nicht als vollständige Überraschung. Zudem halten die Anlagefonds nahezu rekordhohe Geldmarktanteile, was die pessimistische Marktstimmung widerspiegelt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Jede Stabilisierung kann zu einer starken Nachfrage der Anleger nach Aktien und Anleihen mit Renditeaufschlag führen. Deshalb neigen wir dazu, eine übertriebene Marktschwäche dazu zu nutzen, unsere Aktienindex-Puts aufzulösen (die an Wert zugelegt haben) und/oder die Möglichkeit nutzen, Vermögenswerte, welche wir als überverkauft betrachten, aufzustocken. Unabhängig davon ist dieses Abstimmungsergebnis ein deutlicher Rückschlag für das europäische Projekt und kann dieses sogar langfristig in Frage stellen. Die Reaktion der EU, insbesondere jene der «Achse Berlin-Paris» wird Anhaltspunkte über mögliche politische Reaktionen auf diesen Referendumsausgang geben. Die Stimmung gegenüber der EU ist nicht nur innerhalb von Grossbritannien, sondern europaweit skeptischer geworden. Die Fähigkeit der EU, glaubwürdige Antworten auf die Migrationskrise zu geben und das gefühlte Demokratiedefizit anzugehen wird auf die Probe gestellt.

 

Die Parlamentswahlen in Spanien am kommenden Sonntag sind ein weiteres wichtiges Ereignis, welches genau beobachtet werden muss, nachdem die letzte Abstimmung im Dezember zu keiner mehrheitsfähigen Regierung führte. Wir werden die Ereignisse analysieren und die Risiken und Chancen laufend evaluieren.

 

 

 

 

10.06.2023 09:06:14

 

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